Konvolute der Sammlung Fotografie: Philipp Kester
Nach dem Abbruch des Studiums der Philologie in München konzentrierte sich Kester auf seine journalistische Tätigkeit. Während seines zweiten Amerika-Aufenthalts (1902–1904) brachte er sich für seine Bild-Text-Reportagen als Korrespondent für deutsche Zeitungen das Fotografieren selbst bei. 1905 ließ er sich als Pressefotograf, Journalist und Inhaber eines Verlags für Zeitungs-Illustrationen in Berlin nieder. Schwerpunkt waren zum einem Auftragsarbeiten von Münchner und Berliner Schriftsteller*innen, Maler*innen und Publizist*innen, die er fast ausschließlich in privaten Lebensräumen der Porträtierten anfertigte. Zum anderen begann er mit den für ihn typischen Straßenaufnahmen aus dem Alltagsleben der proletarischen, kleinbürgerlichen Bevölkerung in München und Berlin. Hinzu kamen Stadtansichten und Reiseberichte aus Wien, Italien und Frankreich.
Sein Verlag wurde als Vermittler von Aufnahmen an die deutsche Presse immer erfolgreicher, aus den USA (Brown Brothers, New York / P.-J. Press Bureau, Philadelphia), resultierend aus seinen geknüpften Kontakten während der Amerika-Aufenthalte, und Großbritannien (Illustrations Bureau + Alfieri Picture Service, London). Die Zuordnung seiner eigenen Fotografien wird erschwert, da alle Bilder unter seinem Namen publiziert wurden.
1910 war er Mitbegründer des Verbands deutscher Illustrations-Photographen, mit dem Ziel Widerstand gegen Urheberverletzungen, Preisunterbietungen zu leisten und Regelungen für Arbeitsbedingungen bei Verlagen einzufordern. 1911 zog Kester nach München und gründete die Firma Photographischer Verlag Kester & Co. (ab 1912 Kester & Co. Fotografischer Verlag München, ab 1913 Verlag Kester & Co., ab 1923 Kester & Co. (Intern.) Bilderdienst, ab 1933 Kester Lichtbild-Archiv München) und blieb bis zum ersten Weltkrieg einziger hauptberuflicher Pressefotograf. 1914 stellte er die Geschäftsbeziehungen zu den amerikanischen und britischen Fotoagenturen ein. Im gleichen Jahr trat er dem deutschen Heer als Kriegsfreiwilliger bei und stellte seine journalistischen und fotografischen Tätigkeiten bis 1919 ein.
Ab 1920 konzentrierte sich Kester auf die Dokumentation aktueller politischer und gesellschaftlicher Ereignisse in München und arbeitete ab 1923 mit dem NS-Propagandisten Heinrich Hoffmann zusammen, dessen Aufnahmen von Adolf Hitler er auch an die internationale Presse vermittelte. Seine Agentur arbeitete vor allem bei den Porträtaufnahmen vermehrt mit Münchner Atelierfotografen zusammen, u.a. mit Theodor Hilsdorf. Seine eigenen Fotografien konzentrierten sich zunehmend auf ländliches Leben und Stadtansichten in Bayern und Österreich. Ab dem Jahr 1933 reduzierte er seine aktive fotografische Beschäftigung weiter und gab sie ca. 1938 vollständig auf.
Ab 1948 musste er aufgrund finanzieller Nöte seinen Agenturbetrieb mit seinen Archivbeständen wieder aufnehmen. Sein Bildarchiv umfasste zu diesem Zeitpunkt ca. 30.000 Motive, darunter 2.000 Porträtaufnahmen.
Fotohistorische Einordnung des Künstlers
Die berufliche Vielschichtigkeit als Verleger, Journalist und Fotograf war von Kester beabsichtigt und die Berufsbilder gleichbedeutend wichtig. Der Höhepunkt seiner Karriere ging einher mit der Blüte des Fotojournalismus und er gilt als einer der Pioniere der frühen Straßenfotografen. Die Fotografie wurde durch die Verbreitung in Illustrierten und verbesserter Technik zum Massenmedium. Kester konzentrierte sich nicht auf tagesaktuelle Geschehnisse, wie viele seiner Kollegen, sondern beschäftigte sich mit Alltagsszenen anfänglich hauptsächlich der "kleinen Leute". Ab 1913 machte sich der Absatzrückgang der Illustrierten Presse und der Konkurrenzkampf der Münchner Porträtfotografen auch bei Kester bemerkbar.
Angaben zum Konvolut
Nach Kesters Tod wurden die fotografischen Bestände seines Archivs bis ca. 1982 durch die Bavaria-Bildagentur vertrieben, einer der bedeutendsten deutschen Bildagenturen. Sein schriftlicher Nachlass mit Zeitschriften, Manuskripten, Korrespondenzen, Tage- und Notizbüchern wurden nach dem Tod seiner Frau Anna Maria Frieda (geb. Körber, 1893–1962) vernichtet. Auch Teile des fotografischen Nachlasses fehlen, wie Straßen- und Reisemotive und Abzüge historischer Ereignisse vor 1914, sowie Landschafts- und Architekturfotografien der 1920er Jahre. Andere Serien wurden von den Erben in den 1980er Jahren an private Sammler verkauft. 1987 wurde das Fotoarchiv von Philipp Kester mit 15.000 Originalnegativen und -abzügen vom Münchner Stadtmuseum erworben, zusammen mit tausenden von Agenturaufnahmen von Fotografen seines Verlags.
Ausstellungsgeschichte des Bestands
2003 präsentierte das Münchner Stadtmuseum die Ausstellung "Philipp Kester – Fotojournalist. New York, Berlin", München 1903–1935, zu der ein Katalog erschien.