Konvolute der Sammlung Fotografie: Herbert List

Die Sammlung Fotografie stellt den größten Anteil aller Sammlungsobjekte des Münchner Stadtmuseums. Der Bestand von ca. drei Millionen Objekten reicht von den frühen Anfängen der Fotografie im 19. Jahrhundert bis in die digitale Gegenwart; neben Fotografien sind ganze Bildarchive und Spezialsammlungen sowie fotohistorisches Equipment und seltene Fachpublikationen Teil der Sammlung. Die wichtigsten Konvolute – Konvolute sind Gruppen von kunst- oder kulturhistorischen Objekten, die thematisch oder chronologisch zusammengehören – werden hier mit vertiefenden Informationen und repräsentativer Objektauswahl vorgestellt.

Mehr zur Sammlung Fotografie auf der Website des Münchner Stadtmuseums


Herbert List (* 7. Oktober 1903 in Hamburg; † 4. April 1975 in München)

Berufsbezogene Biografie
Herbert List war ein deutscher Fotograf, der ab den 1920er Jahren tätig war.

Als Sohn einer Hamburger Kaufmannsfamilie begann Herbert List mit 18 Jahren eine Lehre bei einem Kaffeeimporteur in Heidelberg und besuchte daneben Vorlesungen der Literatur- und Kunstgeschichte. 1923/24 trat er in die Kaffee-Importfirma seines Vaters ein. Während mehrjähriger Aufenthalte auf Kaffee-Plantagen in Mittel- und Südamerika begann List als Autodidakt zu fotografieren. Nach seiner Rückkehr übernahm er 1929 die väterliche Firma und widmete sich in seiner Freizeit – angeregt durch seine Freundschaft mit Andreas Feininger – mehr und mehr der Fotografie. Es entstanden erste vom Surrealismus beeinflusste Stillleben, Landschaftsstudien und Fotos junger Freunde, diese vor allem bei Wochenendausflügen an die Nord- und Ostsee. Lists Hamburger Wohnung in Hamburg-Winterhude bildete den Mittelpunkt für eine lebendige Szene von jungen Intellektuellen und Kunstinteressierten, deren freizügiger, die bürgerlichen Konventionen und Moralvorstellungen ablehnender Lebensstil mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten endete. Nach den Nürnberger Rassegesetzen galt List als "jüdischer Mischling" und als offen lebender Homosexueller war List im nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr sicher.

Als er Deutschland 1936 verließ, machte er sein Hobby – das Fotografieren – zum Beruf, zunächst in Paris und London, ab 1939 in Griechenland. Aufträge als Modefotograf befriedigten List künstlerisch nicht und er kehrte zu seinen surrealistischen Stillleben zurück. Die kritische Distanz zu den politischen Machthabern in Deutschland fand seinen Ausdruck in Lists Aufnahmen vom Deutschen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937, etwa in der Darstellung der noch verhüllten pathetischen Monumentalplastiken des Bildhauers Josef Thorak, die Herbert List als Sinnbild für die Isolation seiner deutschen Heimat sah. Durch eine Ausstellung seiner Griechenland-Fotografien in einer Pariser Galerie 1937 konnte er auf sich aufmerksam machen und es folgten diverse Veröffentlichungen in Magazinen wie Harper’s Bazaar, Verse und Life. Ein international angelegtes Buchprojekt "Licht über Hellas" scheiterte jedoch am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und konnte erst 1953 erscheinen.

Bei Kriegsausbruch war List in Athen, trotz seiner jüdischen Abstammung kehrte er nach Einmarsch deutscher Truppen in Griechenland im Frühjahr 1941 wieder ins nationalsozialistische Deutschland zurück. Er fotografierte immer seltener und wurde im Herbst 1944 als Kartenzeichner zur Wehrmacht nach Norwegen eingezogen. Nach Kriegsende ließ List sich zunächst in Herrsching am Ammersee, später in München nieder, wo er die zerstörte Architektur fotografierte, die unter dem Titel "Memento 1945" im Deutschen Lichtbild veröffentlicht wurde. Anfang der fünfziger Jahre widmete sich List verstärkt der Porträt- und Reportage-Fotografie. Es entstanden einfühlsame Aufnahmen von Künstler*innen, wie Picasso, Braque, Colette, Somerset Maugham, Vittorio de Sica oder Helene Weigel. Vor allem in Italien, Mexiko und der Karibik erarbeitete List Foto-Essays, die insbesondere in der Schweizer Kulturzeitschrift DU und in Buchform erschienen. Diese freien Reportagen erregten die Aufmerksamkeit Robert Capas, der List daraufhin 1952 für die neu gegründete Fotografen-Kooperative Magnum Photos anwarb. Herbert List nahm in den kommenden Jahren jedoch nur wenige Aufträge an. In den 1960er Jahren verlor List zunehmend das Interesse an der Fotografie. Bis zu seinem Tode im Jahr 1975 beschäftigte er sich mit seiner bedeutenden Sammlung italienischer Handzeichnungen der Renaissance und des Barock.

Fotohistorische Einordnung des Künstlers
Das fotografische Werk Herbert Lists spiegelt die Entwicklung der internationalen Fotografie von der Neuen Sachlichkeit zum Fotojournalismus wider. Sein Frühwerk war ebenso von der Formensprache der Neuen Sachlichkeit wie auch von seiner Begeisterung für den Surrealismus und seinem lebenslangen Interesse an der klassischen Antike geprägt. Unter dem Eindruck der europäischen Avantgarde, im Besonderen Jean Cocteau, Giorgio de Chirico und Man Ray inszenierte er surrealistisch inspirierte Stillleben. Dabei bediente er sich des Inventars surrealistischer Motive wie Spiegel, Masken oder Verhüllungen. Mit Blick auf die "visionären" Bilder von List prägte Günter Melken in Anlehnung an Giorgio de Chirico den Begriff der fotografia metafisica.
In den Griechenland-Bildern spürte List dem Mythos der griechischen Antike nach. Das Spiel mit Licht und Schatten wurde hierbei zum entscheidenden Gestaltungsmerkmal seiner Kompositionen. Dies ist noch in seinen Münchner Nachkriegsfotos zu erkennen. Die Bilder der zerstörten Architektur zeigen einerseits den Untergang des nationalsozialistischen Herrschaftsanspruchs demonstrativ auf und verklären andererseits die Nachkriegsrealität im Sinne einer Ruinenästhetik, die durch die eigenen Griechenland-Aufnahmen inspiriert war.

Anfang der fünfziger Jahre entwickelte List seine Bildsprache weiter. Beeinflusst von seinem Kollegen bei Magnum, Henri Cartier-Bresson sowie von Vittorio de Sica und dem italienischen Neorealismus, richtete er die Kamera verstärkt auf die Menschen. Im Gegensatz zu den formal strengen Kompositionen seines Frühwerks, wird sein Spätwerk durch menschliche Nähe und Lebendigkeit dominiert. Diese Entwicklung vom stilleben- und symbolhaften Arrangement zur Beobachtung von Situationen im menschlichen Alltag zeigt die Vielfalt seines bildnerischen Aus-drucks über den Zeitraum von vier Jahrzehnten.

Angaben zum Konvolut
Nach dem Tod Herbert Lists 1975 ging der gesamte fotografische Nachlass an seinen engen Freund, den Fotojournalisten Max Scheler nach Hamburg. Ein Teil der Aufnahmen vor 1945, die sich im Elternhaus in Hamburg sowie in seiner Pariser Wohnung befanden, gingen im Krieg verloren. Das Münchner Stadtmuseum kaufte 2000 eine Auswahl aus allen Schaffensperioden (1117 Vintage prints und 3 posthume Vergrößerungen sowie Archivmaterial) aus dem Zeitraum von 1928 bis 1965 an. 2004 folgte der Ankauf des gesamten Negativbestands (ca. 80.000 Originalnegative und Kontaktprints). Der Restbestand des Nachlasses wird vom Herbert List Estate in Hamburg verwaltet.

Ausstellungsgeschichte mit Hinweisen zu Katalogen
Die Serie an Münchner Nachkriegsfotos von Herbert List wurde vom 3. Mai bis zum 26. Juni 1995 in der Ausstellung "Herbert List, Memento 1945. Münchner Ruinen" präsentiert. Zur Ausstellung erschien 1995 bei Schirmer/Mosel ein Katalog gleichen Titels von Ludger Derenthal und Ulrich Pohlmann und einem Bestandsverzeichnis von Volker Duvigneau. 

Nach dem Ankauf wurde in Zusammenarbeit mit dem List-Archiv (heute Herbert List Estate, Hamburg) die erste umfassende Retrospektive des Fotografen erarbeitet, die zunächst am 3. Februar 2000 im Münchner Stadtmuseum eröffnet und anschließend bis 2002 in Paris, Berlin, València, Hamburg, New York, Montréal, Thessaloniki und Florenz gezeigt wurde. Begleitend zur Ausstellung erschien 2000 der Katalog "Herbert List. Die Monographie" im Verlag Schirmer/Mosel mit Ausgaben in englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache im selben Jahr.

2022, im Rahmen der 8. Triennale der Photographie Hamburg, wurde vom Bucerius Kunst Forum in Zusammenarbeit mit dem Herbert List Estate und dem Münchner Stadtmuseum eine Neupräsentation des Werks unter dem Titel "Herbert List. Das magische Auge" gezeigt. Zeitgleich wurde im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg das noch nie gezeigte Fotobuchprojekt "Präuschers Panoptikum. Ein Bilderbuch von Herbert List" ausgestellt.

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