Konvolute der Sammlung Fotografie: Roger Ballen
Da seine Mutter bei der Fotoagentur Magnum arbeitete, hatte Roger Ballen schon als Kind Kontakt zu Fotolegenden wie André Kertész, Paul Strand, Bruce Davidson oder Henri Cartier-Bresson. Bereits im Alter von 13 Jahren begann er selbst zu fotografieren. Trotz dieser frühen Leidenschaft für das Medium absolvierte Ballen zunächst ein Studium der Psychologie in Berkeley. 1973 begann er eine mehrjährige Weltreise, die ihn unter anderem 18 Monate nach Südafrika führte. Zurück in den USA promovierte er 1981 im Fachbereich Ökonomie und zog im selben Jahr mit seiner Partnerin Lynda Moross nach Südafrika, wo er bis heute lebt.
Ballen arbeitete zunächst als Geologe, was ihn in die abgelegenen Dörfer der weißen Bevölkerung, auch "Dorps" genannt, brachte. Dort begann er zunächst, die ärmlichen und heruntergekommenen Behausungen zu fotografieren, später auch deren Bewohner*innen selbst. Nach und nach entwickelte er seinen spezifischen, auf der Dokumentarfotografie basierenden Surrealismus, der das Unterbewusstsein anspricht und verschiedene Aspekte der menschlichen Existenz erforscht. Sein erstes Fotobuch "Boyhood" wurde 1979 veröffentlicht.
Mit seiner zwischen Dokumentation und Fiktion changierenden Bilderwelt, nachhaltig verstörend und bestechend zugleich, gehört Roger Ballen zu den eigenwilligsten und prägendsten Fotografen seiner Generation. Seine Arbeiten finden sich in den Sammlungen bedeutender internationaler Institutionen wie dem Museum of Modern Art in New York, dem Centre Georges Pompidou in Paris, dem Stedelijk Museum in Amsterdam und dem Victoria and Albert Museum in London. Vielfach ausgezeichnet wurde Roger Ballen unter anderem mit dem Preis des Festivals Les Rencontres d´Arles (2002) sowie dem Art Directors Club Award (2006). Sein Video "I Fink U Freeky" gewann beim portugiesischen Curtas Vila do Conde – Festival Internacional de Cinema 2012 den ersten Preis. 2018 erhielt er die Ehrendoktorwürde in Kunst und Design von der Kingston University.
2008 gründete Ballen in Johannesburg die Roger Ballen Foundation, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Fotografieausbildung in Südafrika zu fördern.
Fotohistorische Einordnung des Künstlers
Roger Ballen zählt neben David Goldblatt zu den anerkanntesten und innovativsten Fotokünstlern Südafrikas. Als Anhänger der Schwarz-Weiß-Fotografie gebraucht er seine Kamera, um etwas gleichermaßen Unfassbares wie Radikales zu erfassen: die menschliche Psyche. Seit rund fünf Jahrzehnten porträtiert er die verarmte weiße Landbevölkerung in Südafrika – Tagelöhner, Wachleute oder Arbeiter, die auf dem sogenannten "Platteland" ein kärgliches Dasein fristen. Schauplätze der theatralischen Inszenierungen sind die einfachen Behausungen, deren karge Innenräume sich in eine klaustrophobische Bühne verwandeln, auf der die Akteure mit zum Teil gewalttätiger Expressivität agieren. Ausgewählte Requisiten wie Drähte und verschlissenes Mobiliar entwickeln im surrealen Zusammenklang mit den Personen ein bizarres Eigenleben. Den streng komponierten Aufnahmen wohnt etwas Absurd-Groteskes und zugleich Bedrohlich-Bedrückendes inne. Sie zeigen eine hermetische Welt, die als verstörendes Abbild psychotischer Energien gelesen werden kann.
Angaben zum Konvolut
Im Zuge seiner Einzelausstellung hat Roger Ballen dem Münchner Stadtmuseum 2018 über 175 Fotografien (Gelatineentwicklungspapiere sowie zahlreiche Inkjet-Prints) sämtlicher Schaffensperioden zwischen 1960 und 2014 überlassen, unter anderem aus den Serien "Civil Rights" (1969), "Israel" (1974), "Boyhood" (1974–1977), "Dorps" (1983–1985), "Outland" (1983–2000), "Platteland" (1987–1994), "Shadow Chamber" (2000–2004), "Boarding House" (2000–2008) und "Asylum" (2006–2012). Das Konvolut bietet nicht nur einen sehr guten Überblick über sein Gesamtwerk, sondern zählt auch international zu den umfangreichsten Museumsbeständen des Künstlers.