
Konvolute der Sammlung Fotografie: Erich Retzlaff
Berufsbezogene Biografie
Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg arbeitete Retzlaff mehrere Jahre als kaufmännischer Angestellter. Er interessierte sich als Autodidakt für die Fotografie und führte ab 1927 nacheinander Studios in Düsseldorf, Berlin, im Schwarzwald, und ab 1971 in Dießen am Ammersee. Darüber hinaus hielt er sich zwischenzeitlich in Wiesbaden und Simmern auf; Studiostempel verweisen zudem auf Tätigkeiten in Hamburg und Leverkusen.
Retzlaff war ab 1932 Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Seine Nähe zur NS-Ideologie lässt sich auch in Publikationen erkennen, die Fotografien von Retzlaff aus besetzten Gebieten oder Porträts der NS-Elite zeigen. Darüber hinaus wurden Fotografien von ihm in Zeitschriften abgedruckt, die eine propagandistische Ausrichtung hatten, wie Volk und Rasse, NS-Frauen-Warte oder Signal. Mit dem Einzug des Agfacolor Neu-Verfahrens 1936 begann Retzlaffs langanhaltende Auseinandersetzung mit Farbfotografie.
In den ersten Nachkriegsjahren nahm Retzlaff noch regelmäßig an Gruppenausstellungen teil. Zwischen 1950 und 1953 und ab 1979 war er Mitglied der Gesellschaft Deutscher Lichtbildner (GDL). Darüber hinaus veröffentlichte er weiterhin Fotobücher, bei denen es sich teils um (überarbeitete) Wiederauflagen handelte. Er fotografierte bis mindestens in die 1970er Jahre weiter.
Fotohistorische Einordnung des Künstlers
Retzlaff war vor allem für seine Porträtfotografie bekannt, die er sowohl für Privatpersonen in seinem Studio als auch für Publikationen ausführte. Für seine Veröffentlichungen konzentrierte sich Retzlaff auf nationalsozialistische Führungspersonen, Bauernfamilien und Arbeiter*innen. Seine Nähe zur NS-Ideologie drückt sich nicht explizit über die Darstellung von NS-Symbolen aus, sondern ist an dem Interesse an der Physiognomie der Porträtierten sowie seiner strukturellen Verankerung abzulesen. So war es Retzlaff trotz wirtschaftlich schlechter Lage im Zweiten Weltkrieg noch 1944 möglich, zwei Bücher zu veröffentlichen: "Das Gesicht des Geistes" und "Länder und Völker an der Donau". Bei den Porträts handelt es sich oft um Nahaufnahmen, die das Gesicht der Porträtierten im Druck fast lebensgroß erscheinen lassen und die charakteristischen Merkmale aufzeigen sollten. Die Porträts von Arbeiter*innen und Bäuer*innen hingegen sind anonymisiert.
Eine ebenso große Bedeutung wurde Retzlaffs Farbfotografien von Zeitgenoss*innen zugeschrieben. Mit Farbe setzte er sich nicht nur in Bezug auf fotografische Abzüge auseinander, sondern bezog sie auch früh in seine Druckerzeugnisse ein. 1938 wurde erstmals ein Bild von ihm in "Agfacolor, das farbige Lichtbild" veröffentlicht und bis in die Nachkriegszeit wurden farbige Aufnahmen in Sammelbänden zur Farbfotografie integriert. Weniger bekannt sind weitere Arbeiten von Retzlaff, die nach 1945 entstanden.
Angaben zum Konvolut
Im Bestand der Sammlung Fotografie des Münchner Stadtmuseums befinden sich über 1.300 Fotografien, die sich aus Negativen, Abzügen und einem Album zusammensetzen. Nachdem 1992 die ersten 100 Porträtfotografien von Retzlaff erworben wurden, gingen in den Jahren nach seinem Tod bis 1997 weitere Fotografien in den Bestand der Fotosammlung über. Das Konvolut wird als "Archiv Retzlaff" bezeichnet und stellt den umfassendsten Bestand an Fotografien von Retzlaff in einer musealen Sammlung dar.
Die Fotografien entstanden zwischen den 1920er und den 1970er Jahren. Dazu zählt neben den Einzelprints auch ein privates Fotoalbum von einer Urlaubsreise nach Helgoland 1926. Bis auf 91 Farbfotografien handelt es sich ausschließlich um Schwarz-Weiß-Abzüge. Die Fotobibliothek verfügt zusätzlich über Bildbände von Erich Retzlaff.
Neben dem Münchner Stadtmuseum befinden sich mehrere Hundert Abzüge sowie über 1.000 Negative in der Sammlung der School of Art an der Aberystwyth University in Wales.
Fotohistorische Einordnung des hiesigen Bestandes
Die Fotografien von Erich Retzlaff im Münchner Stadtmuseum lassen sich in zwei Kategorien einordnen: Fotografien mit und ohne Anbindung an seine Publikationen. So finden sich Fotografien aus folgenden Publikationen wieder: "Das Antlitz des Alters" (1930), "Die von der Scholle" (1931), "Menschen am Werk" (1931), "Länder und Völker an der Donau" (1944), "Deutsche Trachten" (1940-1958) und "Das Geistige Gesicht Deutschlands" (1952). Wegen der Bildbände zirkulierten diese Fotografien und sind weitreichend bekannt.
Darüber hinaus findet es sich ein umfassendes Konvolut an Fotografien aus der Nachkriegszeit, das in der Aufarbeitung zu Erich Retzlaff und der Nachkriegsfotografie bisher keine Beachtung gefunden hat. Die Fotografien zeigen überwiegend westdeutsche Innenstädte, wobei sich an der Motivwahl ein besonderes Interesse Retzlaffs an historischen und kriegsversehrten Gebäuden ablesen lässt. Neben diesen Arbeiten gibt es zudem ein größeres Konvolut an Fotografien aus Simbabwe (zeitgen. "Rhodesien") aus den 1970er Jahren sowie 91 farbige Landschaftsaufnahmen. Retzlaffs Auseinandersetzung mit dem Medium Farbe lässt sich dabei auch daran feststellen, dass er teils ähnliche Motive auf Agfa und Kodak Papieren druckte.
Ausstellungsgeschichte mit Hinweisen zu Katalogen
Im Münchner Stadtmuseum hat seit den Eingängen in die Sammlung keine Einzelausstellung zu Erich Retzlaff stattgefunden, aber einzelne Arbeiten waren in Gruppenausstellungen vertreten, u. a. 2011 in "IndustrieZEIT. Fotografien von 1845 bis 2010". 13 der hiesigen Fotografien sind zudem im Ausstellungskatalog "Erich Retzlaff volksfotograf" abgedruckt, 2013 in der School of Art Gallery and Museum, Aberystwyth, präsentiert und von Christopher Webster van Tonder herausgegeben.






