Rund um die Passionsspiele Oberammergau

Oberammergau verdankt seinen weithin bekannten Ruf einem Ritual: Fünf Tage am Stück spielen die Einwohner das in den Evangelien überlieferte Leiden von Jesus Christus nach. Die Tradition reicht in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zurück. Sie ist das Pfand zeittypischer Seuchengelübde, wie sie vielerorts ausgesprochen wurden, um in Gottes Gnaden von Krankheiten erlöst zu werden, die im Marschgepäck der Heeresverbände mitgeführt worden waren. Weil die Pest nach dem Notgelübde von 1634 prompt nicht mehr ausgebrochen sei, haben die regelmäßig erneuerten Passionsspiele von Oberammergau etwas Wundertätiges an sich. Den Gottgefälligen, so die Botschaft, wird geholfen. Beten statt impfen!

Die Texte schrieb Joseph Alois Daisenberger (1799–1883), der seit 1845 Pfarrer in Oberammergau war und seither die Spiele leitete. Er griff auf ein Libretto des Benediktinerpaters Othmar Weis (1770–1843) zurück, der ihn im benachbarten Kloster Ettal ausgebildet hatte. Die Partituren, die weite Teile des Spiels tragen, stammen von dem Münchner Komponisten Rochus Dedler (1779–1822) und wurden von einem gewissen Ferdinand Feldigl (1861–1928) erneuert. Feldigl dirigierte die Aufführung des Jahres 1900 und arbeitete an einer Biographie Dedlers. Bis heute ist die nach Daisenberger und Dedler benannte Bühnenfassung maßgeblich.

Der rasant steigende Zuspruch verhalf dem schon früh modernisierten Dorf zu beachtlichem Wohlstand und weckte die Neugier der Theaterkritik. Kein gutes Haar ließ der Münchner Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884–1958) daran: "Man bekommt Kopfschmerzen über dieser Prosa, die Seekrankheit über diesen Versen", die Partituren seien "unsäglich mattes, mühselig zusammengestoppeltes, wertloses Zeug." Den Ideen einer Laienbühne durchaus zugetan, erinnerte ihn das Stück "an die amtlichen Erlasse der Distriktsämter Weilheim oder Garmisch-Partenkirchen", die Langeweile sei so bleiern, "daß, mit ihr verglichen, Klopstocks Messias spannend wirkt wie ein Detektivroman." Es tat ihm in den Ohren weh, den Dialogen der Darsteller zuzuhören: "Ach, wenn sie ihr geliebtes Oberbayrisch sprächen! Aber sie kauen mühsam an einem breiten, breiigen, zerhackten, zerquälten, vergewaltigten Schriftdeutsch, so daß alle ihre Reden den Eindruck von etwas unsagbar Hölzernem, Unverstandenem, Automatischem, Marionettenhaftem machen. Man findet nicht die Spur von einem Geist, und alles ist Dressur."

Was Feuchtwanger umtrieb, war die Frage, wie dieser "Welterfolg" – er meinte das nicht ironisch – zu erklären sei. In der Begeisterung, in der "die Amerikaner diesseits und jenseits des Ozeans" zu Hundertausenden nach Oberammergau zogen, sah er das Merkmal eines irrationalen Bedürfnisses: "Der innere Grund dieser Massenschwärmerei ist die Sehnsucht einer nüchternen, im Leben materialistischen, in der Kunst kritizistischen Zeit nach Religion, Sentimentalität, Weihe." Über diese Analyse ist wohl kaum hinauszukommen.

Der Turnus, in dem das Opferspiel zu Beginn eines neuen Dezenniums jeweils stattfindet, ist inzwischen etwas durcheinandergeraten. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Spiel von 1920 auf 1922 verschoben worden, ein Jahrhundert später kommt es unter den Folgen der Pandemie ebenfalls zu einer Verschiebung. Seit 2014 gehören die Passionsspiele von Oberammergau zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Die Spielleitung hat der Theaterintendant und Oberammergauer Bildschnitzer Christian Stückl (*1961), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dem wirtschaftlich millionenschweren Spiel die antisemitischen Aussagen zu nehmen.

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