Unter den namhaften Vertretern des Müchner Jugendstils war Richard Riemerschmid (1868-1957) der einzige gebürtige Münchner; sein Vater besaß die auf der Praterinsel gelegene Schnapsfabrik („Escorial Grün“), deren Gebäude heute für diverse Veranstaltungen genutzt werden.
Sein nicht nur persönlich bestes Werk, sondern überhaupt das wohl schönste Interieur des Jugendstils in Deutschlad schuf Richard Riemerschmid im Jahr 1900 mit der Innenausstattung des Münchner Schauspielhauses an der Maximilianstraße. „Der Schauspieler und das Publikum, das Ohr und das Auge, das ästhetische Bedürfnis und dasjenige nach Komfort“, hatten in dem heute als „Münchner Kammerspiele“ bekannten Sprechtheater „gleichmäßig zu ihrem Recht“ gefunden, wie es zur Eröffnung hieß.
Das Werk Richard Riemerschmid widerlegt die eindimensionale Vorstellung vom Jugendstil als einer frei wuchernden Ornamentkunst.
Sein dreieckiger Armlehnstuhl steht für eine eher konstruktive Verbindung von Form und Funktion. Er ist aus Kanthölzern und einem Brett mit ausgesägten Halbkreisen zusammengesteckt. Die Idee ging aus einem Wettbewerb hervor, bei dem eine komplette Einrichtung für einkommensschwache Käufer gesucht wurde. Der mit dem ersten Preis prämierte Entwurf Riemerschmid entwickelte aus dieser Idee ein ganzes Programm von „Maschinenmöbeln“. Als Vorläufer moderner Serienfertigung haben sie das gesamte Einrichtungswesen revolutioniert. Der Verzicht auf Ornament, die Freilegung der Konstruktion, die Betonung der dem Holz eigenen Maserung durch Imprägnierung und naturbelassene Oberflächen – das alles hatte nicht nur wirtschaftliche, sondern vor allem ästhetische Gründe. Die Möbel Riemerschmids wurden 1906 als die „erste demokratische Kunst“ vorgestellt. Der Kunsthistoriker und spätere Bundespräsident Theodor Heuss nannte sie „im besten Sinne des Wortes bürgerlich“.
Franz von Stuck dürfte Riemerschmid gemeint haben, als er 1902 zum prophezeiten „Niedergang der Kunststadt“ München Stellung nahm: „Ich kann nicht sagen, daß die Vereinigten Werkstätten so Hervorragendes leisteten. Ich finde sogar die meisten ihrer Möbel direkt häßlich. Die Zimmereinrichtungen wirken, abgesehen von mancherlei Geschmacklosigkeiten und Gesundheiten im einzelnen, als Ganzes so dürftig, so nüchtern, so spießbürgerlich! Versuchen Sie nur mal, ein Ölgemälde mit starker farbiger Wirkung, z.B. einen Böcklin, hinein zu hängen: es geht einfach nicht, es schlägt das ganze Zimmer tot, denn zu solchen Möbeln passen nur ganz dünne Sachen, Lithographien, Radierungen oder Landkarten. Als Bewohner eines solchen Zimmers könnte ich mir höchstens einen Gerichtsschreiber denken.“
[Ausst.-Kat. Typisch München! Das Jubiläumsbuch des Münchner Stadtmuseums, hrsg. von Wolfgang Till und Thomas Weidner, München 2008, S. 195]