Das Möbel aus dem Besitz des Dichters Henry von Heiseler zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Konstruktion aus. Vier weitausladende Streben fassen mit ihren Enden, die bis ins Detail der Ausformung an gotische Krabben erinnern, die Platte des Tischchens an den Ecken ein. Auf die Platte ist ein Tablett mit zwei geschmiedeten Eisengriffen aufgesetzt. Der Sockel bildet einen Kasten, der wohl als Einsatz für einen Flaschenkühler diente. Seitlich sind diagonal die vier Füße angesetzt, die in Bildhauerarbeit wie eine Ferse mit ihren Sehnen gestaltet sind und in Streben übergehen. Die Spannung dieser Linienführung steht im Widerspruch zur Konstruktion, bei der die große Gesamtform aus verschiedenen kleinen Teilen zusammengesetzt wird. Da die Massivholzteile mit Schwund und Dehnung gegeneinanderarbeiten, ergibt sich eine instabile Struktur.
Das Pendant befindet sich in der Sammlung Wichmann im Bayerischen Nationalmuseum in München. (Die Platte des Tablets im Münchner Stadtmuseum wurde nach diesem Vorbild erneuert.) Die gewollte Eigenart einer solchen Formgebung begründet Obrist wie folgt: "Es soll alles behaglich sein. Es soll vornehm sein, was nur möglich ist bei Abwesenheit von Überladung und Imitiertem. Es soll meinen persönlichen, nicht den sogenannten durchschnittlichen Bedürfnissen angepaßt sein. Es soll hübsch und apart sein, wenn irgend möglich sogar schön und eigenartig sein. Ich will mir das alles mit Mitarbeitern extra ausdenken und wenn Freunde zu mir kommen, sollen sie mich bewundern, ja beneiden. Es soll mir Lust und Spaß machen trotz der vielen Mühe, ich will eitel stolz auf mein Heim werden und auf jeden Stuhl darin, auf mein Heim, das nicht ist wie das meines Nachbarn. Ich will ihn nicht übertrumpfen damit, daß ich überbiete, sondern damit, daß er mich sobald nicht kopieren kann" (Hermann Obrist: Hat das Publikum ein Interesse daran, selber das Kunstgewerbe zu heben?, in: Kunstgewerbeblatt, Monatsschrift für Geschichte und Literatur der Kleinkunst, Organ für die Bestrebungen der Kunstgewerbevereine, hrsg. v. Arthur Pabst, Leipzig 1900, NF 11, S. 92).
[Hans Ottomeyer (Hg.), Michaela Rammert-Götz: Jugendstilmöbel. Katalog der Möbelsammlung des Münchner Stadtmuseums, München 1988, S. 52]